Warum ist Talentförderung in der Berufsbildung wichtig?

Studien zeigen eindeutig, dass überdurchschnittliche Begabung in der Berufsbildung eine Realität und in allen Berufsfeldern anzutreffen ist. Dennoch ist die systematische Förderung von Auszubildenden während der Berufslehre noch nicht etabliert. Talentförderung in der Berufsbildung zielt auf praktische Leistungsexzellenz ab.

Die Kurz-Formel für Leistung und Erfolg (Talent) lautet: WOLLEN x KÖNNEN x MÖGLICHKEIT = LEISTUNG.
Illustration: Jolanda Suter | jolanda.ru

Weshalb sollen Lehrbetriebe und Branchenverbände Talente fördern?

Damit die Berufsbildung als gleichwertiger und zukunftsorientierter Ausbildungsweg wahrgenommen wird, ist es wichtig, dass die Verknüpfung von Begabung und Beruf stattfindet. Indem die Betriebe, Verbände und Berufsfachschulen die Berufsbildung als Talentschmiede positionieren, in der begabte Lernende zu Höchstleistungen befähigt werden, steigern sie die Attraktivität des Berufsbildungssystems. So wirken sie dem Nachwuchs- und Fachkräftemangel entgegen und vermitteln talentierten Lernenden eine Perspektive in ihrem Beruf.

Für eine erfolgreiche Talentförderung müssen begabte und motivierte Lernende bereit sein, sich auf intensive Lernprozesse einzulassen. Höchstleistungen erbringen jedoch nur diejenigen Begabten, die darüber hinaus über eine Lernumwelt verfügen, in der Leistungen aktiv angeregt, unterstützt und gewürdigt werden. Entsprechend verlangt die erfolgreiche Talentförderung das Engagement von Betrieben, Berufsfachschulen und Branchenverbänden, die den Nutzen der Talentförderung in der Berufsbildung erkennen und diese aktiv mit Fördermassnahmen unterstützen.

Wer spielt bei erfolgreicher Talentförderung eine Rolle?

Damit Talentförderung im Betrieb und in der Berufsfachschule eingeführt und nachhaltig umgesetzt werden kann, ist eine Bereitschaft aller Beteiligten, aber in erster Linie der Geschäfts- und Schulleitung nötig. Sie müssen sich deutlich für die Identifikation, Entwicklung und Anbindung von Talenten aussprechen und die dafür benötigten Mittel und Ressourcen zur Verfügung stellen. Talentförderung ist also an der Basis Chef/innen-Sache.

Ist die strategische Bereitschaft für Talentförderung fest in der Unternehmenskultur verankert, liegt die Umsetzung in der Hand von engagierten, empathischen und sozial kompetenten Ausbildungsverantwortlichen. In Grossbetrieben spielen die HR-Verantwortlichen eine ebenso entscheidende Rolle. Diese sollten die Fähigkeit besitzen, anspruchsvolle Fördermassnahmen zu entwickeln. Darüber hinaus müssen sie sich bereit zeigen, den Lernprozess der begabten Lernenden intensiv zu begleiten und Erfahrungen mit ihnen auszutauschen. 

Bei der Talentförderung während der beruflichen Grundbildung ist auch die Mitwirkung der Berufsfachschulen wichtig.  Spezifische Angebote der Berufsfachschulen für begabte Lernende sind beispielsweise die Berufsmaturität, der bilinguale Unterricht oder Freikurse.

Wo entdeckt man potenzielle Talente?

Schulische Leistungen zielen auf die Entfaltung von intellektuellen Kompetenzen. Es ist naheliegend, schulischen Leistungen als Hauptindikator für ein potenzielles Talent zu sehen. Es wird daher oft angenommen, dass man das Suchfeld auf Schülerinnen und Schüler mit überdurchschnittlichen Schulnoten beschränken kann. Die berufliche Begabung ist jedoch wesentlich komplexer und kann nicht einfach mit Intellekt oder Intelligenz gleichgesetzt werden. Die Berufsfachschulnoten sind mögliche Indikatoren, liefern aber alleine keinen Hinweis auf das Potenzial der Auszubildenden. Umso mehr, wenn man bedenkt, dass Begabungen, die nicht gefördert werden, verschwinden und sogar zu «Underachievement» führen können, einem Phänomen bei dem die dauerhafte Unterforderung zu Demotivation, Desinteresse, Unzufriedenheit und Zweifel an den eigenen Fähigkeiten führt.

Bei der Suche nach überdurchschnittlich begabten Lernenden muss demnach überall mit Potenzial gerechnet werden. Denn auf den zweiten Blick können sich insbesondere auch Auszubildende, die schlechte schulische Leistungen erbringen, verhaltensauffällig sind oder unmotiviert erscheinen als potenzielle Talente entpuppen. Aber nur wenn sie auch als solche erkannt, gewürdigt und im Rahmen einer günstigen Lernumwelt unterstützt werden.

Wer ist ein Talent?

Tatsächlich gibt es keine einheitliche, allgemein verbindliche Definition von Begabung und Talent. Für den beruflichen Bereich kann man Begabung als ein angeborenes Potenzial des Menschen interpretieren, das ihn dazu befähigt, aussergewöhnliche Leistungen zu erbringen. Entsprechend kann man begabte Lernende als junge Menschen verstehen, die aufgrund ihrer Begabung zu überdurchschnittlichen Leistungen fähig sind. 

Begabte Lernende werden nicht automatisch zu Talenten. Damit eine Begabung in Höchstleistungen umgesetzt werden kann, ist jedoch mehr als eine günstige Veranlagung erforderlich. Hartes Training, Übung und eine intensive Auseinandersetzung mit dem Beruf sind notwendig, damit aus begabten Jugendlichen effektiv Talente werden.

Talente werden also nicht geboren, sondern werden entwickelt. Entsprechend verlangt die erfolgreiche Talentförderung das Engagement von Betrieben, Berufsfachschulen und Branchenverbänden, welche ihren Lernenden die Möglichkeiten zur Talententwicklung bieten. Somit ist es also wichtig, dass sich Lehrbetriebe mit dem Thema befassen und ihren begabten Lernenden Fördermassnahmen ermöglichen.

Wie identifiziert man ein potenzielles Talent?

Die berufliche Begabung muss als Zusammenspiel mehrerer Begabungen verstanden werden. Je nach Beruf und Unternehmensgrösse, ist eine eigene Konstellation erforderlich, um Höchstleistungen zu erbringen. Es gibt also keinen allgemein gültigen Anforderungskatalog, der für die Erkennung von potenziellen Talenten in allen Berufsfeldern angewendet werden kann. 

Die Talentidentifikation im Unternehmen beginnt daher mit der Entwicklung eines betriebseigenen Kriterienkatalogs. Hier werden die erforderlichen Kompetenzen für die Erbringung von Höchstleistungen dokumentiert. Dieses Kompetenzmodell liefert den Fahrplan für einen systematischen und für alle nachvollziehbaren Talentidentifikationsprozess.

Warum lohnt sich Talentförderung für alle?

Für die Betriebe lohnt sie sich weil…

Für die Betriebe lohnt sich die Investition in die Förderung von Talenten während der Lehre, weil sie damit das Fundament für die Zukunft ihres Unternehmens legen. Durch die aktive Förderung werden talentierte Berufsleute an die Betriebe gebunden. Dank des reduzierten Rekrutierungs- und Einarbeitungsaufwands können begabte Jugendliche schnellstmöglich qualifizierte Arbeiten übernehmen. Auch bereits während der beruflichen Grundausbildung bringen die zusätzlichen Leistungsausweise und angeeigneten Kompetenzen einen sicht- und messbaren Vorteil für die Unternehmen.

Für die Branchenverbände lohnt sie sich weil…

Die Berufsverbände stärken mit der Talentförderung die Attraktivität der Berufsbildung und sichern den Nachwuchs für die Branche. Einerseits können begabte angehende Berufsleute für das Berufsfeld gewonnen werden und andererseits bleiben die ausgebildeten Talente dem Berufsfeld erhalten. Dies ist insbesondere für die Nachfolge-Regelungen von KMU und für das mittlere Kader von zentraler Bedeutung.

Für die Berufsfachschulen lohnt sie sich weil…

Durch das Engagement in der Talentförderung tragen die Berufsfachschulen zur Stärkung der Attraktivität der beruflichen Grundbildung bei. Förderung an den Berufsfachschulen umfasst strukturierte (institutionelle) Angebote für Lernende im Hinblick auf Lernzuwachs und Lernfortschritte. Im Fokus der Förderung stehen besondere Interessen und Begabungen. Zielsetzungen sind besondere Begabungen und Talente zu erkennen und zu deren Förderung entsprechende Angebote zur Verfügung zu stellen können sowie mit geeigneten Massnahmen und die Bereitschaft zu fördern für künftiges Lernen und Weiterbildung.

Für die Lernenden lohnt sie sich weil…

Begabte Lernende, die bereit sind, sich schon während der Ausbildung auf fordernde Situationen einzulassen, haben die Möglichkeit, neue Kompetenzen zu entwickeln. Diese können weit über die Lernziele der «normalen» beruflichen Grundausbildung hinausgehen. Das kann sich positiv auf die persönliche Weiterentwicklung und Laufbahn auswirken. Noch während ihrer Berufsausbildung erhalten begabte Lernende die Chance auf einmalige, aussergewöhnliche Erlebnisse, wie die Teilnahme an Wettbewerben, Berufspraktika im Ausland oder die Möglichkeit, aktiv an internen Projekten mitzuwirken. Dabei erlangen sie einen Zuwachs an Selbstvertrauen, Selbständigkeit, Motivation und Begeisterung am Beruf. Diese zusätzlichen Leistungsausweise und Kompetenzen qualifizieren die Talente wiederum auf dem Arbeitsmarkt.

Hilfsmittel

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Diese Slides geben einen ersten Einblick in die Thematik und sollen als Hilfestellung dienen, wenn Sie das Thema erstmals in ihrem Betrieb oder Verband präsentieren möchten, um dann gemeinsam mit der Geschäftsleitung / Verbandsleitung / Team weitere Schritte im Aufbau von Talentfördermassnahmen anzugehen.

LITERATUR ZUR TALENTFÖRDERUNG IN DER BERUFSBILDUNG

Marliese Kammermann (2013). Begabtenförderung in der beruflichen Grundbildung in der Schweiz – eine Bestandesaufnahme. In: Begabungs- und Begabtenförderung im dualen Ausbildungssystem; Ulrike Kempter, Ramona Uhl (Hrsg). Trauner Verlag.

Matthias Krüger, Una M. Röhr-Sendlmeier, Lisa Bleckmann, Anja Pütz (2014). Förderung beruflich begabter Auszubildender – Entfaltung von Lernpotenzialen jenseits der klassischen Begabungsforschung. In: Bildung und Erziehung 67.4/2014. Böhlau Verlag, Wien Köln Weimar.

Margrit Stamm & Michael Niederhauser (2008). Leistungsexzellenz in der beruflichen Ausbildung. Theoretische Überlegungen und empirische Befunde zu einer Schweizer Längsschnittstudie. Empirische Pädagogik, 22, 4, 552-568.

Margrit Stamm (2009). Ein kluger Kopf allein reicht nicht. In: Panorama, 3/2009.

Margrit Stamm (2012). Dossier 12/1: Talentmanagement in der Berufsbildung. Was wir wissen sollten, um die Innovationskraft der Berufsbildung voranzutreiben.

Margrit Stamm (2017). Goldene Hände. Praktische Intelligenz als Chance für die Berufsbildung. Hep Verlag.

Margrit Stamm (2017). Der harte Weg an die Spitze. In: Aargauer Zeitung / Die Nordwestschweiz, 06.02.2017, 16.

Margrit Stamm (2017). Dossier 17/1: Die Top 200 des beruflichen Nachwuchses. Was hinter Medaillengewinnern an Berufsmeisterschaften steckt.separator

Margrit Stamm (2019). Dossier 19/1: Top und Flop an der Lehrabschlussprüfung. Qualifikationsverfahren unter der Lupe. Swiss Education, Aarau.

Margit Stein, Hans-Ludwig Schmidt, Beatrice Günther, Carl Heese, Bernhard Babic (2003). Berufliche Begabung erkennen und fördern. Heft 67, Schriftenreihe des Bundesinstituts für Berufsbildung, Bonn.

Rudolf Tippelt & Bernhard Schmidt (Hrsg.) (2017). Hochbegabte, Begabtenförderung und Bildung. pp 1-18. In: Handbuch Bildungsforschung. Springer Verlag.

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